Glücksmaterial

Wie Anstand unser Leben erleichtert

Anlass, mich mit dem Thema Anstand und GfK (Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg) zu beschäftigen war zum einen ein Artikel in der Zeit zu Anfang April 2025 „Auch ohne Wauwau“ und die Aufgabe, die nächste Zoom-Sitzung unserer monatlichen GfK-Gruppe vorzubereiten. Ich hatte spontan den Eindruck, dass es da große Schnittflächen gibt.

Bei der GfK handelt es sich um ein Kommunikations- und Lebenskonzept, das von Marshall B. Rosenberg entwickelt wurde und bei dem es um die Beachtung von Gefühlen und Bedürfnissen geht.

In unserer GfK-Gruppe haben wir uns daher zunächst mit der Frage befasst, ob „Anstand“ ein Bedürfnis ist. Ein Bedürfnis ist etwas abstrakt, universelles, dass dem Leben dient und allen Menschen gemeinsam ist.

Nach kurzer Diskussion sind wir zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich beim „Anstand“ um einen Sammelbegriff für verschiedene Bedürfnisse handelt, der u. a. die Bedürfnisse Rücksichtnahme, Respekt, Empathie, Zugehörigkeit, Verbindung, Werte und Traditionen beinhaltet. Zudem wird Anstand durch die kulturellen und soziologischen[i] Umstände der Menschen beeinflusst.

Anstandsregeln können uns den Kontakt zu fremden Menschen erleichtern und uns Sicherheit schenken, insbesondere in Situationen, die wir nicht so häufig erleben, wie z. B. Vorstellungsgespräche, Essen in hochklassigen Restaurants oder Gesprächen mit Würdenträgern oder sonstigen „Persönlichkeiten“. Giovanni di Lorenzo fordert daher in seinem Artikel in der Zeit „Auch ohne Wauwau“: „Der Anstand, den wir brauchen, sollte nicht spalten, sondern verbinden und eine unausgesprochene Verständigung sein auf einige Grundregeln im Umgang miteinander, von denen alle profitieren.“

Bei der Frage, ob es beim Anstand immer um Situationen von mehr als einer Person geht, kamen wir auf die Frage zu sprechen, wie sich Menschen auf der Toilette verhalten. Hier sind sie eindeutig in der Regel alleine und trotzdem muss der andere, der die Toilette später betritt, mitbedacht werden.

Gibt es auch einen Anstand sich selbst gegenüber? Ich glaube schon. Auch bei Dingen, wo kein anderer betroffen ist, will man sich so verhalten, dass die eigenen Werte Berücksichtigung finden. Auch das ist Anstand. Deutlich wird das meines Erachtens bei dem Begriff: „etwas beanstanden“. Hier wird ein Anstand verletzt und das kann ich auch mir selbst gegenüber, z. B. wenn ich keine ausreichende Selbstfürsorge beachte und so meinen Körper oder Geist vernachlässige.

Anstand ist bisweilen auch eine Strategie. Zum Beispiel, wenn ich in einem Vorstellungsgespräch den vermeintlichen Erwartungen meines Gegenübers entspreche. Das ist oft anstrengend, da ich ggf. meine Authentizität hinten anstelle, um mein Ziel zu erreichen.

Auch das „chic anziehen“ kann als Anstand verstanden werden, z. B. bei einer Hochzeit. Hier sorge ich dafür, dass ich nicht aus dem Rahmen falle, was mir Gemeinschaft, Zugehörigkeit und Sicherheit vermitteln kann. Oder ich möchte die Erwartungen meines Gastgebers erfüllen und so seinen Bedürfnissen Raum geben. Es kann mich aber auch verunsichern, wenn ich mich so verkleidet fühle, dass ich mich selbst nicht mehr erkenne. Das kann meine Selbstsicherheit deutlich ins Schwanken bringen. Dann wäre das eigentliche Ziel des sich „chic Anziehens“ unter Umständen nicht erreicht. Daher sollte jeder für sich selbst prüfen, wie weit er von seinem üblichen Kleidungsstil abweichen kann, ohne sich unwohl zu fühlen.

Schließlich haben wir uns mit der Frage beschäftigt: „Gehört arbeiten zum Anstand bzw. ist es unanständig nicht zu arbeiten.“ Im Ergebnis sind wir zu der Ansicht gekommen, dass ein ausgewogenes Verhältnis von geben und nehmen wichtig ist. Wenn jemand so reich ist, dass er finanziell der Gesellschaft nicht auf der Tasche liegt, ist eine Untätigkeit eher hinzunehmen, als wenn das nicht der Fall ist. Zudem kommt es auf die Leistungsfähigkeit einer Person an. Wenn er nicht leistungsfähig ist, wird das Nichtarbeiten auch hingenommen. Zuletzt ist zu definieren, was man unter „Arbeiten“ versteht. Muss es Erwerbsarbeit sein? Verdient eine Mutter von drei Kindern, die diese zu selbständigen Menschen erzieht, nicht genauso viel Respekt, wie eine Erwerbsarbeit. Sie trägt ja auch zum Erhalt der Gesellschaft und Sozialsysteme bei, da die Kinder dann in die Sozialkasse einzahlen. Auch wenn man diese Haltung – insbesondere als Frau – vom Kopf her so beurteilt, bleibt immer eine kleine Scham, wenn andere Mütter arbeiten und man selbst nicht. Hiermit sollte man lernen selbstbewusst umzugehen. Inwieweit dies gelingt, hängt viel von den Kreisen ab, in denen man verkehrt und der Gegend, in der man lebt.

Zu verweisen ist auch auf Hanna Arendt, die den reflektierenden Anstand als Gegensatz zu Gedankenlosigkeit und Anpassung definiert hat.

Zum Schluss gebe ich die Antwort auf die Frage nach dem Zusammenhang von Anstand und GfK von ChatGBT wieder, da ich sie für recht gelungen, halte:

„Anstand und GfK hängen eng zusammen, aber sie sind nicht identisch.

Anstand bezeichnet allgemein respektvolles, rücksichtvolles Verhalten, das soziale Normen berücksichtigt. Es geht darum, andere nicht unnötig zu verletzen, höflich und fair zu sein.

GfK (Gewaltfreie Kommunikation) geht tiefer: Sie bietet ein konkretes Modell, um ehrlich und empathisch zu kommunizieren, ohne zu verurteilen, zu beschuldigen oder zu verletzen. Ziel ist nicht bloß höfliches Verhalten, sondern echte Verbindung auf der Basis von Gefühlen und Bedürfnissen.

Anstand ist oft ein äußerer Rahmen (Regeln für gutes Benehmen). GfK bringt diesen Rahmen von innen heraus, indem sie Menschen hilft, aus echtem Mitgefühl und Achtung vor den Bedürfnissen anderer zu handeln – nicht nur, weil es die Gesellschaft erwartet.  In der GfK geht es darum, authentisch
respektvoll zu sein, nicht nur formell anständig.

Kurz gesagt: GfK geht tiefer als bloßer Anstand – aber echter Anstand im besten Sinne ist ein natürliches Ergebnis von GfK.“

Als Fazit bleibt festzustellen, dass auch in der heutigen Welt, wo sich so mancher Staatschef, Politiker oder Unternehmer anstandslos zeigt, der Anstand für den Menschen von großer Bedeutung ist, und zwar im eigenen Interesse, damit das Zusammenspiel mit den Mitmenschen reibungslos verläuft. Nur wer meint auf ein gedeihliches Miteinander nicht angewiesen zu sein, mag sich anders verhalten.


[i] Soziologie ist die Lehre vom Zusammenleben von Menschen innerhalb einer Gemeinschaft bzw. Gesellschaft

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